Andacht
Liebe Leserinnen und Leser,
der Monatsspruch für Oktober ist den Klageliedern Jeremias entnommen. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Dichtungen, die auf den Untergang Jerusalems im Jahr 587 v. Chr. Bezug nehmen. Die damals vom babylonischen Heer betriebene Zerstörung der Stadt mitsamt dem Tempel muss grauenvoll gewesen sein (siehe Kap. 5).
Auch die jüngere Geschichte ist voller Beispiele für die Entgleisungen derjenigen, die glauben, auf der Seite der Sieger zu stehen. Denken wir an die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, an das Massaker unter der bosnischen Zivilbevölkerung von Srebrenica im Jahr 1995, an die Folteraffäre während der Besetzung des Irak durch die Vereinigten Staaten 2003 ff., an das Massaker von Butscha zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine im Frühjahr 2022 oder an den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober des vergangenen Jahres.
Manchmal frage ich mich angesichts der vielen Gewaltexzesse, ob die Menschheit noch eine Zukunft hat, ob Gott nicht irgendwann sagt: „Schluss jetzt. Das Maß ist voll. Ich kann die Menge eurer Grausamkeiten nicht mehr ertragen. Ich will mir das nicht länger mit ansehen, wie ihr euch gegenseitig das Leben auf der Erde zur Hölle macht.“
Dagegen heißt es in Klagelieder 3, dass Gottes Güte und Barmherzigkeit noch kein Ende hat. Und nach 1. Mose 8 f. soll der Regenbogen ein Zeichen dafür sein, dass Gott einen Bund mit allen Menschen geschlossen hat, selbst wenn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens von Jugend auf böse ist. Und an die Christen in Korinth gewandt schreibt Paulus, dass Gott durch Christus die Welt mit sich selbst versöhnt hat (2. Kor 5,19). Dennoch ist damit zu rechnen, dass Gottes Geduld Grenzen hat und dass wir spätestens nach diesem Leben zur Rechenschaft gezogen werden (siehe 5. Kor 5,10). Denn wenn Gottes Geduld grenzenlos wäre, gäbe es keinen Grund, sich zu bessern und etwas aus der Geschichte zu lernen.
Eine Lehre aus der Geschichte lautet: Gib niemals einem Menschen, einer Gruppe, einer Religionsgemeinschaft oder einer Partei zu viel Macht. Denn es ist davon auszugehen, dass die Macht missbraucht wird und dass die Rechte der Unterlegenen, der Schwachen und der Andersdenkenden mit Füßen getreten werden.
Pfr. Markus Köber, Mulda