Andacht

Liebe Leserinnen und Leser,

kennen Sie das Wort „uhiessch“? Wenn nicht, dann trifft diese Eigenschaft in der Regel auf Sie zu. Ein „Uhiesschr“ ist in erzgebirgischer Mundart jemand, der als Fremder, Zugezogener, Auswärtiger bezeichnet wird.

Vermutlich hat jede und jeder schon einmal erlebt, wie es sich anfühlt, als fremd angesehen zu werden, sei es nach einem Klassen- oder Schulwechsel, einem Umzug, einem Wechsel des Arbeitsplatzes oder bei einem Auslandsaufenthalt. Dann ist es erfreulich, wenn es unter den Hiesigen, den Einheimischen jemanden gibt, der die Gabe hat und die Bereitschaft aufbringt, auf die Neuen, die Anderen zuzugehen und sie nicht „im Regen“ stehen zu lassen.

In der Bibel finden sich viele Geschichten, in denen es um das Leben in der Fremde und um Fremde im eigenen Land geht. Da ist Abraham, der sich aus seiner angestammten Heimat in das von Gott verheißene Land in der Fremde aufmacht. Da ist die Aufforderung des Monatsspruchs für März (3. Mose 19,33), Fremdlinge im eigenen Land nicht zu bedrücken. Da ist die aus dem Lande Moab stammende Ausländerin Rut, die auf die Hilfe ihrer israelitischen Schwiegermutter angewiesen ist. Da ist der Prophet Jeremia, der im babylonischen Exil dazu aufruft, der Stadt Bestes zu suchen (Jer 29).

Am Beispiel des Barmherzigen Samariters macht Jesus deutlich, dass das Gebot der Nächstenliebe nicht auf die eigenen Leute beschränkt ist. Ein Reisender aus Samaria hilft einem notleidenden Juden. Er handelt dabei ohne Ansehen der Person und fragt nicht nach Herkunft, Religions- oder Volkszugehörigkeit (Lk 10). In ähnlicher Weise wird im Gleichnis vom Weltgericht hervorgehoben, dass auf der Aufnahme von Fremden Gottes Segen ruht anstelle ihnen die kalte Schulter zu zeigen (Mt 25).

Dabei gibt es durchaus auch Gründe, die Anliegen der eigenen Leute nicht zu vernachlässigen und ihre Grundbedürfnisse im Blick zu behalten. Nur wer die eigenen Kräfte einzuschätzen weiß, kann auch anderen helfen und Kraft geben.

Trotzdem ist und bleibt eine aufgeschlossene Haltung gegenüber Fremden und Schutzsuchenden einer der Grundpfeiler der biblischen Tradition. Die Einstellung „Was kümmert mich fremdes Leid?“ mag zwar aktuell von vielen Leuten geteilt werden. Sie steht aber letztlich im Widerspruch zum christlichen Glauben.

Pfr. Markus Köber, Mulda