Andacht

Liebe Leserinnen und Leser.

„Sage Nein!“ Durch die letzten Wochen hat mich häufig Musik eines Liedermachers begleitet, der immer wieder dazu aufruft, sich zu verweigern, andere Menschen auszugrenzen oder zu benachteiligen.

Nun tritt uns ein Vers gegenüber, der etwas ganz Ähnliches aussagt, dies aber in umgekehrter Weise formuliert: „Weigere dich nicht, Gutes zu tun.“ Versperre dich nicht, werde nicht innerlich hart und lass dich stattdessen vielmehr einspannen für gute Taten. Damit geht dieser Vers noch einen Schritt weiter als die Melodien, die mir im Kopf herumschwirren. Es geht nicht nur darum, sich gegen Unrecht aufzulehnen, sondern darüber hinaus sich für eine gute Sache einzusetzen.

Eigentlich ja ganz schön: Ein Ziel, für das es sich lohnt, sich einzubringen kann so viel Kraft schenken und Sinn geben. Und dennoch beschleichen mich als Nächstes Gedanken an Menschen, die so viel geben, die so oft andere im Blick haben und dabei manchmal selber über ihre Grenzen gehen. Ja, wir sind aufgefordert, uns einzubringen und mitzubauen an Gutem. Wir sind angehalten, die Menschen um uns herum im Blick zu behalten und für sie da zu sein. Und trotzdem wird da nicht mehr von uns gefordert als wir gerade geben können. Es ist ein Vers, der uns sagt, dass auch wir immer wieder an unsere Grenzen stoßen, bedürftig sind und manchmal selber Kraft brauchen. In diesen Worten des Verses sehe ich einen sehr wohlwollenden, behutsamen Blick auf uns und eine große Entlastung. 

Zugleich traut uns der Spruch für den Mai auch eine ganze Menge zu. Denn wenn ich etwas zu tun vermag, dann bin ich in gewisser Weise vermögend – und besitze damit etwas, das einem anderen gerade zugutekommen kann, der es gerade dringend braucht. Das können, aber müssen nicht immer materielle Güter sein. Viel häufiger brauchen wir untereinander offene Ohren, Zeit füreinander, einen wachen Blick für unser Gegenüber. 

So lädt uns der Vers ein, beides behutsam auszubalancieren: Wir dürfen schauen, womit wir jemandem hilfreich zur Seite stehen können und dabei auf unsere eigenen Grenzen achten, dass wir nicht mehr geben, als wir es gerade vermögen. 

Ein Balanceakt, der wahrscheinlich immer wieder aufs Neue herausfordert. Und so wünsche ich uns allen, dass Gott uns immer wieder helfen möge, unser Gegenüber und auch unsere eigenen Grenzen nicht aus dem Blick zu verlieren. 

Herzliche Grüße
Ihre Pfarrerin R. Brandt